Renowave.at, das Innovationslabor für klimaneutrale Gebäude- und Quartierssanierungen, fordert daher dringend die Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen noch vor der Sommerpause. Andernfalls sind die österreichischen Ziele einer Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 nicht zu erreichen.
„Eine wesentliche Voraussetzung für die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 sind geeignete rechtliche und insbesondere wohnrechtliche Rahmenbedingungen, vor allem mit Blick auf den großvolumigen Wohnungsbestand,“ betont DI Susanne Formanek, Vorstand und kaufmännische Projektleiterin von RENOWAVE.AT, dem österreichischen Innovationslabor für klimaneutrale Gebäude- und Quartierssanierungen.
Zukunftssichere Immobilien
Gebäudeeigentümer:innen und Investor:innen erkennen zunehmend, dass für den langfristigen Werterhalt einer Immobilie oder eines Immobilienportfolios der energietechnische Standard und die Art des Heizungssystems eine zentrale Komponente darstellen.
Damit stellen nicht nur die neuen Vorgaben auf EU-Ebene – wie etwa die EU-Taxonomie oder der Entwurf für die neue EU-Gebäuderichtlinie –, sondern auch die nationale Gesetzgebung wichtige Orientierungspunkte für zukunftssichere Investitionen im Neubau und in der Sanierung dar.
Preiserhöhung in der Baubranche und steigende Inflation
Nach Beendigung der Covid-Pandemie und dem laufenden Ukraine-Krieg bleiben große Unsicherheiten, die in einer enormen Inflationsrate ihren Ausdruck finden. Die Baupreise sind innerhalb von zwei Jahren um 30 Prozent in die Höhe geschossen. Die österreichische Inflation war wiederum Auslöser für einen scharfen Anstieg der Kapitalmarktzinsen. Konnte vor einem Jahr eine größere Sanierung noch um 1,5 Prozent finanziert werden, ist der Zinssatz heute etwa dreimal so hoch. Das verteuert die monatliche Rückzahlung bei 20 Jahren Laufzeit um etwa ein Drittel.
Hätte man vor zwei Jahren für eine umfassende Sanierung seines Hauses € 100.000 aufgenommen und auf 20 Jahre finanziert, wäre sich das mit einer monatlichen Rate von € 483 ausgegangen. Heute bewirken die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten für dasselbe Projekt monatliche Kosten von € 823. Die Steigerung macht 70% aus. Das überfordert fast jeden.
Der Neubauboom geht zu Ende
Die Baubewilligungszahlen sind im letzten Quartal 2022 im Jahresvergleich um 28 Prozent eingebrochen. Noch werden die vollen Auftragsbücher abgearbeitet. Aber viele Bauunternehmen stehen hinsichtlich neuer Aufträge vor einem großen und beängstigenden Loch.
Es bestand die Hoffnung, dass sich die Bauwirtschaft nun auf die Sanierung stürzen würde. Das ist aus Gründen der Teuerung nicht geschehen. Gebäudeeigentümer warten ab, bis sich die Lage wieder beruhigt.
Überforderung der Förderungssysteme
Die Förderungssysteme von Bund und Ländern sind von dieser Kostendynamik überfordert. Es besteht zwar allgemeine Bereitschaft, die Fördersätze anzupassen. Zielsetzung muss aber immer auch sein, die Teuerung durch solche Anpassungen nicht weiter zu befeuern - eine typische Zwickmühle.
Wohnungsneubau und Sanierung haben sich schon oft als Stabilisator in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bewährt, etwa nach der Globalen Finanzkrise 2008. Dafür muss aber Kontinuität sichergestellt werden.
Höchste Zeit zu handeln
„Ein moderater Rückgang im Neubau ist angesichts des zuvor sehr hohen Niveaus verkraftbar. Dringend erforderlich ist aber, dass die Sanierung an Fahrt aufnimmt. Maßnahmen zur Kostendämpfung sind das eine. Mindestens ebenso wichtig ist aber, endlich die enormen rechtlichen Hürden aus dem Weg zu räumen. Die Beschlussfassung des ‚Erneuerbare-Wärme-Gesetzes‘ und wohnrechtliche Reformen sind längst überfällig“, erklärt DI Walter Hüttler, Eigentümer WH consulting engineers und Gründungs-Genossenschafter von RENOWAVE.AT.
Erst mit geeigneten (wohn-)rechtlichen Rahmenbedingungen, die Rechtsicherheit im Verhältnis zwischen Mieter: innen und Vermieter:innen bieten, können Förderinstrumente auf Bundes- und Länderebene ihre volle Wirkung entfalten. So wurde der weitaus überwiegende Teil der Bundesförderung für den Heizkesseltausch („Raus aus Öl und Gas“) und die Sanierungsoffensive (jeweils abgewickelt über die KPC) von privaten Eigenheimen in Anspruch genommen, während der Anteil der Fördermittel für den mehrgeschoßigen Wohnbau 2022 bei nur rund 15 Prozent des Gesamtvolumens lag. „Unter den heute gegebenen Rahmenbedingungen kommt die Förderung im großvolumigen Wohnbau viel zu wenig an. Es liegt offensichtlich weniger am Geld, als an den rechtlichen Gegebenheiten“, weiß DI Ulla Unzeitig, Vorstand bei RENOWAVE.AT.
Die Arbeiten im Rahmen des Innovationslabors zielen darauf ab, für die Weiterentwicklung und Neugestaltung relevanter Rahmenbedingungen fachliche Expertise zur Verfügung zu stellen und im Austausch mit den relevanten Stakeholdern auf Verwaltungsebene sowie mit der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft die wesentlichen Punkte für eine praxistaugliche, rechtssichere und beschleunigte Umsetzung von Gebäudesanierung und Heizungstausch zu identifizieren.
Konkrete Maßnahmen, die eine Wohnhaussanierung in Schwung bringen
Es braucht zuerst klare Regeln, damit die einzelnen Mieter:innen- und Wohnungseigentümer:innen die Umstellung der Heizung auf ein zentrales klimafreundliches System akzeptieren können. DI Susanne Formanek sagt: „Wenn das gelingt, würde ein Ruck durch die Immobilienwirtschaft gehen. Die Sanierung und Heizungsumstellung sehr vieler älterer Bauten von Gemeinden, Gemeinnützigen, Privaten und Eigentumsbauten scheitert vielfach am Widerstand von Einzelpersonen - zum Nachteil der großen Mehrheit.“
Deshalb ist es notwendig, dass auch die Kostentragung eindeutig geregelt wird. Dafür müssen die Lebensbedingungen einkommensschwacher Bewohner:innen sowie die Minderheitenrechte und der Schutz der Eigentumsrechte berücksichtigt werden.
Die Expert:innen des Innovationslabors empfehlen generell Maßnahmen, um Gebäude ‚enkel-fit‘ zu machen – also zu dekarbonisieren –, wohnrechtlich als Erhaltung und nicht länger als Verbesserung einzustufen. „Mit einer solchen kleinen Änderung könnten einige Knoten im Miet- und Wohnungseigentumsrecht gelöst werden“, ist sich DI Ulla Unzeitig, Vorstand RENOWAVE.AT, sicher.
„Für Rechtssicherheit des staatlichen Handelns und im Hinblick auf die langfristigen Investitionspläne in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft brauchen wir einen Stufenplan für den Ausstieg aus Öl und Gas bei der Beheizung unserer Gebäude. Festlegungen im Regierungsprogramm reichen in einem Rechtsstaat nicht aus“; ergänzt Dr. Wolfgang Amann, Chef des IIBW und Gründungs-Genossenschafter von RENOWAVE.AT.
Das lange Warten auf das ‚Erneuerbare-Wärme-Gesetz‘
Einige dieser Maßnahmen stehen bereits im Entwurf des ‚Erneuerbare-Wärme-Gesetzes‘ (EWG), andere sollten im Wohnrecht fixiert werden. „Der Entwurf des EWG wurde vor fast einem Jahr in die Begutachtung geschickt. Es kam zu keiner Einigung über die Berücksichtigung der zahlreichen Stellungnahmen. Und so wurde der unveränderte Entwurf vor einem halben Jahr vom Ministerrat beschlossen und zur parlamentarischen Behandlung weitergeleitet. Seither harrt er darauf, vom zuständigen Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie behandelt zu werden. Es ist eine Menge Sand im Getriebe“, zeigt DI Walter Hüttler auf.
Beschleunigung für die Wärmewende
Es ist absehbar, dass ein Scheitern des ‚Erneuerbare-Wärme-Gesetzes‘ auch zur Folge hätte, dass die notwendigen wohnrechtlichen Reformen in dieser Legislaturperiode nicht mehr gelingen werden.
„Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft benötigt dringend Rechtssicherheit und praxistaugliche Rahmenbedingungen, um die vorhandenen technischen Lösungen für Sanierung und Heizungsumstellung auch umsetzen zu können. Daher fordern wir dringend die parlamentarische Behandlung und Beschlussfassung des ‚Erneuerbare-Wärme-Gesetzes‘ noch vor der Sommerpause. Die österreichischen Ziele einer Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 sind andernfalls nicht zu erreichen“, resümiert DI Ulla Unzeitig, Vorstand RENOWAVE.AT.