Der Landesrat (OÖ) Rudi Anschober startete die Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“.
Land OÖ
Die Integration von asylsuchenden und geflüchteten Menschen in Unternehmen löst eine ähnliche Revolution wie die Digitalisierung aus. Beide verändern Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft, beide kamen quasi über Nacht und beide erfordern flexible Lösungen.
Der Deutsche Jochen Stargardt zeigt Führungskräften, wie die Zusammenarbeit trotz oder gerade wegen kultureller Unterschiede gelingen kann. Mit seiner Frau Simone ist er in der Berater-Szene tätig, lädt zu Seminaren ein und publiziert Bücher. Die Ethnologin Elisabeth Sonntag unterstützte ihn bei seiner 2018 erschienen Publikation „Die Kunst der erfolgreichen Integration in Unternehmen“.
Fachkräfte fehlen
„Wer es heute verabsäumt, sein Unternehmen international und kulturell aufzustellen, der wird in weniger als 15 Jahren in einer Nische landen, in der er weder gesehen noch gehört wird, in der er schlichtweg keine Resonanz bei den Kunden erzielt“, ist Stargardt überzeugt. In einer von fünf Thesen untermauert er seine Aussage, dass Unternehmer dringend Nachwuchskräfte in Handwerk und helfender Ausbildung wie Installateure, Gärtner, Bäcker, Metzger, Kranken- und Altenpfleger benötigen. Kaum jemand wird Stargardt widersprechen, dass unserer Gesellschaft die Gefahr der Überalterung droht, Nachwuchskräfte fehlen und EU-Länder längerfristig aus eigener Kraft ihr Sozial- und Rentensystem höchstwahrscheinlich nicht mehr stemmen können.
Geburtenschwache Lehrgänge
„Problematisch ist, dass wir zurzeit geburtenschwache Jahrgänge haben“, führt der österreichische Bundesinnungsmeister Michael Mattes ins Treffen. Dazu kommt seit Jahren die Sorge, dass das Niveau von Berufsschulabsolventen von Jahr zu Jahr abnimmt. „Heute sind in der Berufsschule so viele Mankos der Schüler beim Schreiben und Rechnen zu bewältigen, dass wenig Zeit für Technik im Stundenplan bleibt“, so Mattes. Anpacken und in der Früh aufstehen wären selbstverständliche Fähigkeiten, die zu Hause grundgelegt werden müssten. Ein Beispiel: Bei einem Anruf zu Hause von Seiten der Firma, wo denn der Lehrbub sei, musste der Vater zuerst nachschauen, ob der Bub noch schläft und ihn dann für die Arbeit wecken.
Personenkomitee Oberösterreich
Ein Beispiel, wie viele qualifizierte Fachkräfte in Österreichs boomenden Wirtschaftsregionen fehlen, liefert Oberösterreich. In diesem Bundesland werden 2030 nach offiziellen Prognosen 127.000 Fachkräfte fehlen. Aktuell gibt es in Oberösterreich 1.387 offen gemeldete und sofort verfügbare Lehrstellen – bundesweit sind es 5.791.
Die Regierung hält daran fest, Asylwerbern, die noch nicht wissen, ob sie in Österreich bleiben können, keine falschen Hoffnungen zu machen, und verweigert ihnen die Lehre. Befürworter eines Zutritts von Asylwerberinnen und Asylwerbern argumentieren demgegenüber, dass die Verfahrensdauer inklusive zweiter Instanz drei und mehr Jahre in Anspruch nimmt. Einer, der dafür eine eigene Lehrlingsinitiative („Ausbildung statt Abschiebung“) auf die Beine gestellt hat, ist der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober: „Aus meiner Sicht muss jede Möglichkeit genutzt werden, um ausreichend Fachkräfte und Lehrlinge zu finden. Und dazu zählen eben auch gut integrierte Asylwerber.“
1.406 offene Lehrstellen Ende 2018 in der Installationsbranche
Die Betriebe möchten sich natürlich nicht auf ungesetzliche Personalaufnahmen einlassen. „Asylwerber können wir nicht aufnehmen, Asylberechtigte ja“, erinnert Mattes. Was für den Bundesinnungsmeister der Installateure eminent wichtig ist, ist, dass der Lehrling mit oder ohne Migrationshintergund gewillt ist, eine Lehre auch tatsächlich durchzuziehen.
Die Lehre ist mit den drei Fachrichtungen Gas, Sanitär sowie Heizungs- und Lüftungstechnik sehr komplex. Mattes legt auch Zahlen aus der Branche auf den Tisch: „Wir haben konstant immer ca. 3.500 Lehrlinge in Ausbildung – mal mehr, mal weniger.“ Letztes Jahr blieben 805 asylberechtigte von 1.202 asylsuchenden Lehrlingen in Ausbildung. „Ende Dezember waren 1.406 offene Lehrplätze gemeldet, die aber leider nicht angenommen wurden“, reüssiert Mattes.
Ängste auf den Tisch
Ängste, Asylwerber im eigenen Unternehmen zu integrieren, sind berechtigt. Der Inhouse-Consulter Stargardt rät, noch bevor Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund aufgenommen werden, im Team Ängste auf den Tisch zu legen und zu besprechen. Die Angst soll benannt werden, der Blick soll auf die positiven Aspekte der interkulturellen Unternehmensausrichtung gelenkt werden.
„Aktivieren Sie Ihre Stärke als Macher“, empfiehlt Stargardt. Angst entsteht, wenn uns Fremdes begegnet. Dann fehlen im Gehirn Synapsen, um darauf adäquat zu reagieren. Unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Bildung gibt es nach Riemann vier Grundformen der Angst: Bedrohung und Existenz der Welt, Trennung und Verlust der Nähe zu anderen, Schuld und Strafe, Chaos und Veränderung sowie Verlust von Selbstwertgefühl und Identität.
Lesen Sie den ungekürzten Artikel ab Seite 10 in der aktuellen Ausgabe 6/2019!