Chefredakteur Mag. Klaus Paukovits Foto: Adrian Batty
Der Papst ist zurückgetreten, und ich war damit nicht einverstanden. Natürlich hat er mich nicht gefragt, ob es mir recht ist. Aber wenn er mich gefragt hätte, hätte ich ihm meine Einwände erklärt. Der Mann bezeichnet sich als Stellvertreter Christi auf Erden. Wir erinnern uns: Christus, das war der Sohn Gottes. Das Christkind. Der Heiland. Der Erlöser. Der Mann, der Wasser entweder zum Drübergehen benutzen oder es in Wein verwandeln konnte. Folgerichtig ist sein Platzhalter, der Papst, per vatikanischer Definition unfehlbar – und der soll auf einmal sagen können: „Sorry Leute, ich hab mich geirrt, ich geh doch lieber in Pension“? Ja, wo kommen wir denn da hin? Was passiert dann als nächstes? Die Hölle friert zu, die Sonne bleibt in der Früh länger liegen weil sie am Vorabend zu viel gefeiert hat, und Hans Krankl tritt von Cordoba zurück?
Mir hat der Gedanke immer gefallen, dass im Vatikan ein alter Mann sitzt, der die ihm übertragene Aufgabe bis ans Ende seines Lebens auszufüllen hat. Das ist nicht so wie bei uns Normalsterblichen, die wir in einer sich schnell verändernden Welt dauernd auf neue Gegebenheiten reagieren müssen. Dieses Hierarchiemodell der katholischen Kirche war auf Langfristigkeit angelegt, um nicht zu sagen auf Nachhaltigkeit. Nach dem Motto: „Du, liebe Menschenwelt, magst Dich täglich ändern. Wir denken in längerfristigen Zyklen. Ein Menschenleben ist nur ein Klacks gegen die Ewigkeit.“ Wenn jetzt die Kirche nicht mehr an die Ewigkeit glaubt, dann ändert sich etwas Gravierendes. Wird der nächste Papst einen Fünf-Jahres-Vertrag bekommen wie der Vorstandsvorsitzende eines börsenotierten Unternehmens? Samt Benchmarks, anhand denen er gemessen wird? Und wenn sich am Ende seiner Amtsperiode das Betriebsergebnis verschlechtert, die Zahl der Gläubigen verringert und die Anzeigen von missbrauchten Ex-Zöglingen vermehrt haben, kriegt er den Vertrag nicht verlängert und keine Prämien ausbezahlt. Auch wenn es nicht ganz so kommen sollte: Die katholische Kirche ist ein großes Stück weltlicher geworden.
Was heißt das für uns? Der Papst hat den freien Willen entdeckt und zur Überraschung aller von ihm Gebrauch gemacht. Für uns heißt das, dass es offenbar keine Alternative zum freien Willen des Menschen gibt. Keine höhere Gewissheit, auf die wir uns in unserem Handeln berufen dürfen. Jeder ist selbst für seine Entscheidungen verantwortlich. Wir werden daran gemessen, wie wir unsere Aufgaben hier auf der Welt lösen. Darum sollten wir möglichst informiert, umsichtig und gut durchdacht handeln. Egal, ob wir eine Religion leiten, einen Lehrling ausbilden oder eine Gastherme reparieren. Selbst ein Papst versteckt sich nicht mehr hinter dem Kreuz, das ihm auferlegt wurde. Es gibt keine Ausreden mehr. Wenn ich‘s mir recht überlege: Ich finde es doch gut, dass der Papst zurückgetreten ist.