Ich bin in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen Mein Vater ist selbständiger Fliesenleger, mein älterer Bruder selbständiger Landwirtschaftlicher Lohnunternehmer, meine Mutter ganz klassisch Hausfrau. In der Schule war ich nicht gerade Everybody’s Darling. Rote Haare, Sommersprossen, dünn und schlacksig, das perfekte Mobbing-Opfer. Nach dem Unterricht flüchtete ich oft in die Werkstatt. Dort konnte ich alles um mich herum vergessen. Mein Bruder und mein Vater brachten mir alles bei: Wie schneidet man ein Brett zu? Wie mischt man Beton? Wie bohrt man ein Loch in Metall oder Stein? Früh stand fest: Ich wollte Handwerkerin werden. Gleichzeitig war ich ein normaler Teenager, der viel Zeit im Bad verbrachte. So fasste ich den Entschluss, Anlagenmechanikerin SHK zu werden. Schöne Bäder bauen, kleine Wellness-Oasen, tolle Schminktempel – das sollte meine Berufung werden.
Von der Handwerkerin zum Model
In meinem zweiten Lehrjahr überzeugte mich eine Freundin, bei der Wahl zur „Miss Handwerk“ in München mitzumachen. In den sozialen Medien wurde der „Miss Handwerk“-Kalender schließlich überall geteilt – und ich war auf dem Cover! Als ich nach der Wahl wieder zu Hause ankam, wartete eine E-Mail auf mich. Eine TV-Produktionsfirma wollte mich für das TV-Format „Das Aschenputtel-Experiment“ gewinnen. Ich sollte mit einem It-Girl aus Marbella zehn Tage das Leben tauschen. Ich vergesse nie, wie ich am Flughafen den Zettel mit dem Wort „Marbella“ laut vorlesen sollte. Ich kannte Marbella nicht und so las ich es eben so vor, wie es geschrieben wurde. Was hat der versnobte Redakteur gelacht. Besagtes It-Girl wollte sich als Model neben einem Mannsweib vor einem großen Publikum im Fernsehen in Szene setzen – doch der Schuss ging nach hinten los. Beim Strand-Shooting sah ich richtig gut neben ihr aus. So begann meine Model-Karriere und plötzlich häuften sich die Bookings. Meinem Handwerk bin ich aber bis heute treu geblieben. Ich arbeite die halbe Woche als angestellte Anlagenmechanikerin SHK bei der Firma Badgalerie Blome und die restliche Zeit bin ich als selbständiges Model unterwegs. Handwerk hat Zukunft. Man sagt ja, Handwerk habe goldenen Boden. Das stimmt! Es gibt einen starken Fachkräftemangel, deshalb verdienen gute Handwerker auch sehr gutes Geld. Mein Plan war es, nach der Ausbildung meinen Meister zu machen und selbständig mit meinem Vater Komplettbäder anzubieten. Jetzt kam erstmal das Modeln dazwischen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Qualifikation zahlt sich aus
Ich kann jungen Menschen nur sagen: Geht ins Handwerk! Ausbildung, dann Meister, ab in die Selbständigkeit und ruck, zuck habt ihr schon den ersten Tesla, während eure alten Schulkollegen noch mit der Monatskarte zur Uni fahren. Wir sollten junge Frauen früh mit technischen Berufen in Berührung bringen. Ich bin kein Freund von Frauen- oder Männerquoten. Die oder der Beste soll den Job bekommen, egal ob Mann oder Frau, ob schwarz oder weiß. Was zählt, ist der Mensch und seine Qualifikation.
Diesen Beitrag finden Sie ungekürzt auch auf Seite 8 der aktuellen Ausgabe 1-2/2022!