Herr Reisberger, was genau mach die Kneipp-Therapie aus?
Reisberger: Die Kneipptherapie ist ein anerkanntes ganzheitliches Verfahren, das auf Körper, Geist und Seele wirkt. In Europa ist das einzigartig. Schaut man über Europa hinaus, gibt es nur zwei weitere Therapieformen dieser Art: TCM, also die Traditionelle Chinesische Medizin, und Ayurveda, die traditionelle indische Heilkunst. Ihren Namen verdankt die Kneipptherapie übrigens dem Priester, Hydrotherapeuten und Naturheilkundler Sebastian Anton Kneipp, der im 19. Jahrhundert lebte. Er hat die Anwendungen populär gemacht.
Auf welcher Grundidee basiert diese Therapieform?
Reisberger: Insgesamt beruht sie auf fünf Pfeilern: der Wasser- oder Hydrotherapie, der Heilpflanzentherapie, der Ernährungstherapie, der Bewegungstherapie und der Ordnungstherapie, bei der es um die sogenannte Lebensordnung geht. Das ist die Klammer, die alle anderen Therapien umschließt. Es geht dabei vor allem um die psychische Zufriedenheit mit sich selbst und seinem sozialen Umfeld.
Betrachtet man diese fünf Pfeiler – welche Rolle nimmt die Wassertherapie ein?
Reisberger: Eine sehr zentrale. Zunächst einmal stärkt sie die Abwehrkräfte und das Herz-Kreislauf-System. Zudem bewirkt sie ein regelrechtes Gefäßtraining, steigert den Stoffwechsel und führt zu einem ausgeglichenen vegetativen Nervensystem.
Läuft die Wassertherapie immer gleich ab?
Reisberger: Keineswegs, die Wasseranwendungen sind individuell und fein abstufbar. Sie werden immer auf den jeweiligen Menschen bzw. die jeweilige Situation angepasst. Das heißt, die Kneippkur ist ein hochentwickeltes und fein differenziertes System, das sich sehr genau auf die jeweilige Konstitution abstimmen lässt. Unterm Strich gibt es circa 120 verschiedene Wasseranwendungen in der Kneipptherapie.
Bitte erläutern Sie diese Wasseranwendungen und ihre Wirkungsweise noch etwas genauer!
Reisberger: Nehmen wir zum Beispiel die warmen Güsse. Sie werden mit einer Temperatur von 37 bis 40 Grad im Nacken und Rückenbereich durchgeführt. Sie helfen so auf sanfte Weise, Muskelverspannungen effektiv zu lösen. Kalte Güsse werden hingegen bei entzündlichen Prozessen in Hüft und Kniegelenken verabreicht, oder bei Venenerkrankungen. Der Gesichtsguss wiederum ist ein Schönheitsguss. Er verbessert die Durchblutung im Gesicht und führt zu strafferer Haut. Das Ganze dauert übrigens nur Sekunden: Sie gehen mit einem Gießrohr oder Schlauch dreimal an der rechten Wange auf und ab, dann dreimal an der linken Wange, dann über die Stirn. Abschließend noch einmal drei Runden über das Gesicht. Ein geringer Aufwand mit einem deut lichen Effekt.
Und die bekannten Wechselgüsse?
Reisberger: Da dauert der Warmanteil einige Minuten und der Kaltanteil ebenfalls nur ein paar Sekunden. Am Anfang der Kneippkur werden dabei in der Regel kleinere Güsse verabreicht. Damit der Körper sich langsam daran gewöhnen kann. Im Verlauf einer Kur werden die gezielten Temperaturreize dann kontinuierlich gesteigert. Generell kann man zu den Güssen sagen, dass sie oberhalb des Beckens anregend wirken, den Blutdruck steigern, das Herz-Kreislauf-System stärken und die Abwehrkräfte fördern. Die Güsse unterhalb des Beckens wirken dagegen beruhigend, gefäßstärkend und blutdrucksenkend. Außerdem fördern sie ebenfalls die Abwehrkräfte.
Was gibt es außerdem für Wasseranwendungen im Rahmen der Kneipptherapie?
Reisberger: Zum Beispiel die Waschungen. Das sind Frühanwendungen, die – wegen des Ruhetonus – zwischen fünf und sechs Uhr morgens ausgeführt werden. Der Körper wird dabei mit einem Leinenhandschuh abgewaschen, der zuvor in kaltes Wasser eingetaucht wurde. Im Anschluss daran wird das Hemd oder der Pyjama wieder angezogen und es geht zurück ins Bett. Da wird der Körper richtig eingepackt, damit er sofort wieder aufwärmt. In der Regel schläft man im Anschluss noch einmal tief ein.
Mit welchem Effekt?
Reisberger: Die Waschungen im Rahmen der Kneipptherapie haben eine ausgleichende Wirkung auf das so genannte psychischvegetative Pendel. Außerdem wirken sie immunstärkend, regulieren den Blutdruck und verbessern die Hautdurchblutung.
Sie sind Teil des Experten-Netzwerkes Dornbracht Healthness – was macht diese Zusammenarbeit in Ihren Augen aus?
Reisberger: Die ursprüngliche Kneipp-Idee war tatsächlich, Kneipp zu erleben und das Erlebte dann möglichst zu Hause kontinuierlich fort zuführen, also in das tägliche Badritual einzubauen. Gerade vor diesem Hintergrund macht es für mich Sinn, gemeinsam mit Dornbracht die Kneipptherapie auch in die privaten Räume zu holen.
Vielen Dank für das Gespräch!