Ich bin vor sechs Jahren nach Wien gekommen. Vor vier Jahren entschied ich mich für die Fachschule Bautechnik mit Betriebspraxis am Camillo Sitte Bautechnikum, die ich in 3,5 Jahren erfolgreich abgeschlossen habe. Zuerst wollte ich die fünfjährige Ausbildung mit Matura wählen, aber da ich frisch aus Kroatien kam, entschied ich mich für den sicheren, kürzeren Ausbildungsweg. Heute kann ich sagen, dass ich keine bessere Entscheidung hätte treffen können. Die Fachschule dauert sieben Semester. In dieser Zeit hatten wir jede Woche einen „Bauhof-Tag“, an dem wir mit verschiedenen Maschinen gearbeitet und viel Praktisches gelernt haben. Das hat mir, neben der Theorie, viel Freude gemacht. Weitere Praxiserfahrungen konnte ich in einem zweimonatigen Ferial- und einem dreimonatigen Betriebspraktikum im 7. Semester sammeln. Im letzten Semester war ich mehr im Betrieb als in der Schule. Hier konnten wir zeigen, was wir gelernt haben, und hatten sogar das Privileg, im Unternehmen weiter arbeiten zu können. Die Bauwirtschaft sucht viele Bautechniker. Die meisten Absolventen sind mit den Möglichkeiten, die sie haben, sehr glücklich. Ich arbeitete bei der Firma Handler Bau und blieb gleich dort. Außerdem entschied ich, mich berufsbegleitend am Camillo Sitte Bautechnikum weiterzubilden.
Familiäre Vorbelastung
Schon als kleines Mädchen wollte ich Architektin werden. Mein Vater Zdravko Prajo arbeitet selbst in der Baubranche und hat mit seinen Geschwistern eine Firma gegründet. Auch die meisten meiner anderen Familienmitglieder sind in der Branche tätig sind. Daher war für mich der Weg schon früh klar. Zwei der bekanntesten Unternehmen meiner großen Familie sind die Wiener Abruchspezialisten Prajo's Bau GmbH und die Abbruch-, Sanier- und Reinigungsprofi KRISTO GmbH. Seit meiner Kindheit besuchte ich die Baustellen mit meinem Vater. Anfangs hatten meine Eltern ein wenig Angst. Sie befürchteten, dass die Ausbildung für mich schwierig sein würde, da ich ja erst seit zwei Jahren in Wien war. Aber sie unterstützten mich von Anfang an. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Frau am Bau
Im Aufbaulehrgang für Berufstätige gibt es von 28 Studierenden nur drei Mädchen, was ich schade finde. Frauen in der Branche sind immer noch eine Minderheit, besonders in technischen Positionen. Aber ich fühlte mich nie von Männern „überrannt“, die den gleichen Job machen. Die Fähigkeiten werden geschätzt und es spielt keine Rolle, ob die Arbeit von einem Mann oder einer Frau erledigt wird. Seit ich in der Baubranche tätig bin, merke ich jedoch einige Unterschiede. Wir Frauen werden auf einer Baustelle sehr geschätzt, weil wir für den „normalen“ Umgang miteinander sorgen und die Baustellen-Kommunikation immer auf einem anständigen und wertschätzenden Niveau halten können. Ich mache alle Arbeiten gerne und liebe die vielfältigen Herausforderungen. Ich bin wirklich sehr glücklich, dass ich mich für diesen Weg entschieden habe. Am tollsten fand ich den Unterricht im Bauhof, also den handwerklichen Teil. Wir haben einander abgewechselt, eine Woche hatte die Gruppe A Mauerei und die andere Zimmerei usw. Wir haben u. a. einen Segmentboden, ein Mauerwerk, einen Kamin, eine Fensteröffnung, eine Türöffnung und Rauchfänge gebaut. Besonders spannend fand ich die Betriebspraxis, den verpflichtenden Ausbildungsteil im letzten Semester.
Reinschnuppern erwünscht!
Gerne will ich Jugendliche herzlich einladen, unsere Fachschule zu besuchen. Mit dem Abschluss haben sie vieles gewonnen und können schon sehr jung in den Beruf einsteigen. Vor allem möchte ich die Mädchen und Frauen einladen. Wir sind zusammen stärker und können gemeinsam aufzeigen, dass der Job in der Baubranche für Frauen geeignet ist und dass wir die Aufgaben ebenso gut bewältigen wie unsere männlichen Kollegen. Wichtig ist nur, dass einem das Bauen Freude macht!
Diesen Beitrag finden Sie ungekürzt auch auf Seite 10 der aktuellen Ausgabe 6/2021!