Die Energiewende, insbesondere der Ausstieg aus Erdgas, erfährt durch den Krieg in der Ukraine und die angespannte Beziehung zwischen West und Ost eine neue Dringlichkeit. Schnell verfügbare, erneuerbare und politisch weniger brisante Energiequellen sind gefragt – die Technologie dazu ist in Österreich bereits vorhanden, jetzt gilt es diese schnellstmöglich auszurollen. Großes Potential wird etwa der Energiegewinnung aus Abwasser attestiert, auf die sich das Bau- und Umwelttechnikunternehmen Rabmer spezialisiert hat. Laut dem Unternehmen können damit rund 14 Prozent der in Österreich benötigten Wärmeenergie für Gebäude regional und nachhaltig produziert werden.
Sprach man bislang von „nachhaltiger Energie“, waren in erster Linie erneuerbare Energiequellen gemeint. Mit dem Krieg in der Ukraine gewinnen nun auch die politische Komponente des Begriffs und die Versorgungssicherheit an Bedeutung. Europas Abhängigkeit von Erdgas ist plötzlich nicht mehr ein vorwiegend klimabezogenes, sondern durch den hohen Marktanteil des russischen Gases – in Österreich werden damit etwa 80 Prozent des Gasbedarfs gedeckt – auch ein Versorgungsproblem. Der Zeitdruck steigt, schnell zuverlässige Alternativen zu finden.
Drei Viertel des Energieverbrauchs im Gebäudesektor werden hierzulande für Heizung, Kühlung und Warmwasseraufbereitung verwendet, und dafür werden derzeit fast ausschließlich CO2-kritische Energiequellen wie Öl oder Gas herangezogen.
„Die steigenden Energiepreise und die Energieverknappung durch den Ukraine Krieg zeigen, dass wir dringend neue Energiequellen benötigen, die die Abhängigkeit reduzieren und die Versorgungssicherheit garantieren. Das gilt auch für Anlieferung, Ersatzteile und nicht zuletzt für das technische Know-how – im Krisenfall sollte man nicht mehr auf globale Lieferketten angewiesen sein. Das jeweilige System muss sich auch relativ kurzfristig umsetzen lassen, aber langfristigen, zuverlässigen Output versprechen. Darüber hinaus muss damit auch der CO2-Ausstoß reduziert werden“, erklärt Ulrike Rabmer-Koller, geschäftsführende Gesellschafterin der Rabmer Gruppe. „Die Liste der Anforderungen ist lang, aber es gibt Systeme, die all diese Kriterien erfüllen. Eines davon ist die Nutzung von Abwasser, eine erneuerbare Energiequelle zum nachhaltigen Heizen und Kühlen von Gebäuden, mit der rund 14 Prozent der benötigten Wärmeenergie sowie der zunehmende Bedarf an Kühlenergie regional und nachhaltig produziert werden können“, so Rabmer-Koller.
Gerade im städtischen Bereich gibt es optimale Voraussetzungen für Energie aus Abwasser zum erneuerbaren Heizen und Kühlen von Gebäuden. In Wien etwa hat das Abwasser im Ganzjahresdurchschnitt eine Temperatur von 16 Grad Celsius und fällt selbst im Winter nicht unter elf Grad. Diese hohe Ausgangstemperatur, die über jener von Erdwärme, Grundwasser oder Außenluft – den üblichen Energiequellen von Wärmepumpen – liegt, macht die Abwasser-Nutzung so interessant, da die Wärmepumpe wesentlich effizienter arbeitet und daher selbst wenig zusätzliche Energie benötigt.
Energie aus Abwasser ist seit 2018 als erneuerbare Energie anerkannt und seit kurzem gibt es auch von staatlicher Seite Zuschüsse. „2021 wurde Energie aus Abwasser erstmals vom Klima- und Energiefonds gefördert. Dies hat der Technologie nun auch in Österreich einen Turboschub gegeben. Alleine in den letzten 12 Monaten haben wir über 20 größere Projekte geprüft. Viele davon wären kurzfristig umsetzbar“, erklärt Rabmer-Koller.
Eine der jüngsten Anlagen des Landes wurde 2021 in der neuen Wien Kanal Zentrale in Inzersdorf von Rabmer installiert. Diese deckt den Heiz- als auch Kühlbedarf des Gebäudes zu 100 Prozent und liefert im Vollbetrieb bis zu 450 Kilowatt Heiz- und 500 Kilowatt Kühlleistung. In Kürze wird Rabmer ein weiteres Leuchtturmprojekt in Wien umsetzen, nämlich die Versorgung des neuen Immobilienkomplexes „VIO Plaza“ an der U4 Station Meidling Hauptstraße mit einer Leistung von 1,2 MW Wärme und 6 MW Kälte aus dem Kanal. Sämtliche Materialien, die für den Bau der Anlagen benötigt werden, bezieht Rabmer aus dem EU-Raum.
Um Abwasser als erneuerbare Energiequelle nutzbar zu machen, werden zunächst Wärmetauscher im öffentlichen Kanal oder bei größeren Anlagen als Bypass außerhalb des Kanals bzw. auch im Kläranlagenabfluss angebracht. Das Abwasser im Kanal umspült die Wärmetauscher und erwärmt dabei einen separaten Wasserkreislauf, der wiederum mit Wärmepumpen im zu versorgenden Gebäude verbunden ist. Diese Wärmepumpen entziehen dem Wasser die Wärme und bringen es auf das gewünschte Temperaturniveau. Im Winter kann so ein Gebäude wirtschaftlich geheizt oder Warmwasser aufbereitet werden, im Sommer wird der Prozess umgekehrt, um das Gebäude zu kühlen. Zusätzlich kann Abwasserenergie auch in Fern- bzw. Nahwärmenetze und Fern- bzw. Nahkältenetze eingespeist werden.
Die Grundvoraussetzung für diese Art der Energiegewinnung ist ein Kanal mit einer Durchflussgeschwindigkeit von mindestens zehn Litern pro Sekunde und einer Dimension ab DN 400. Darüber hinaus muss die Abwassertemperatur konstant über acht Grad Celsius liegen, die Entfernung zum Verbraucher darf 900 Meter nicht überschreiten, und der Bedarf an Heiz- bzw. Kühllast muss mindestens 50 kW Leistung betragen.
Warm mit Abwasser
Erneuerbare Abwasserenergie kann die Abhängigkeit von Erdgas reduzieren.
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